Die Bedeutung beider Worte unterscheidet sich in der Tat eklatant. Beginnen wir sogleich mit dem Einfachen:
Senkrecht
Von senkrecht ist immer dann die Rede, wenn zwei Linien senkrecht zu einander stehen, das heißt, sie bilden miteinander einen Winkel genau von 90 Grad. Im Gelände auf der grünen Wiese können Sie jederzeit selbst einen solchen rechten Winkel erzeugen beziehungsweise konstruieren. Gebraucht wird dieser beispielsweise für die Konstruktion und den Bau eines Sandkastens oder einer Hütte.
Zu diesem Zweck legen Sie die beiden Endpunkte einer geraden Strecke fest, die genau fünf Längeneinheiten lang ist, das können beispielsweise fünf Meter sein. Von dem einen Endpunkt zeichnen Sie ein Stück Kreisbogen mit dem Radius von drei Längeneineinheiten (3 Meter) und von dem anderen Endpunkt ausgehend markieren Sie ein Stück Kreisbogen mit Radius vier Längeneinheiten (4 Meter). Der sich ergebende Schnittpunkt beider Kreisstücke markiert jenen Punkt im Gelände, der mit der ursprünglichen Basislinie zusammen ein exakt rechtwinkliges Dreieck bildet.
Dahinter verbirgt sich der Satz des Pythagoras, der besagt, dass im rechtwinkligen Dreieck die Summe der Kathetenquadrate dem Quadrat der Hypotenuse entspricht. In diesem Fall gilt also:
5 x 5 = 3 x 3 + 4 x 4
Lotrecht
Zwar denkt nun fast jeder, das ist doch ganz einfach: Man lässt ein Gewicht an einem Seil herunterhängen und bestimmt so die lotrechte Linie, die in aller Regel sogar senkrecht auf der Erdoberfläche stehen sollte. Doch ist dies aus geodätischer beziehungsweise geophysikalischer Sicht etwas komplizierter. Um es zu verstehen, müssen wir uns ein paar Gedanken machen über:
Die Form der Erde
Wäre die Erde eine exakte Kugel, würde die Lotlinie tatsächlich an jeder Stelle direkt zum Mittelpunkt der Erde zeigen und senkrecht zur Tangentialfläche auf der Oberfläche stehen. Die meisten wissen aber, dass unser Planet bei genauerer Betrachtung ein Rotationsellipsoid ist, was sich daraus ergibt, dass der Abstand vom Erdmittelpunkt zum geografischen Nord- oder Südpol in etwa 6.356 Kilometer beträgt, während der Radius vom Zentrum bis zu irgendeinem Punkt am Äquator ungefähr 6.378 Kilometer beträgt. Der Unterschied beider Radien macht also ungefähr 0,35 Prozent aus, das ist nicht viel, aber mehr als nichts.
Da die Lotlinie zum sogenannten Attraktionszentrum, also zum Erdmittelpunkt weist, ist die Erdoberfläche nur an den Polen und entlang der Äquatorlinie wirklich senkrecht zur Lotlinie ausgerichtet. An jedem anderen Ort auf dieser Welt steht das Lot irgendwie ganz leicht schräg zur Oberfläche, was aber niemand wirklich sehen kann.
Damit aber nicht genug. Unser Planet ist nämlich noch viel komplizierter aufgebaut als ein Rotationsellipsoid. Bestimmt haben Sie schon einmal den Begriff „Geoid“ gehört. Wenn man es stark überzeichnet, könnte man an dieser Stelle behaupten, die Erde sieht aus wie eine „Kartoffel“. Warum ist das so?
Insbesondere der mächtige Erdmantel ist von riesigen Konvektionszellen gekennzeichnet. Es gibt also große Areale, wo heißes Material ganz langsam aus großen Tiefen emporsteigt, und andere Bereiche, wo kühleres, dichteres Material wieder in die unendlichen Tiefen hinabtaucht. Daraus ergeben sich großräumige Dichteunterschiede in den Gesteinen unter unseren Füßen. Dort, wo das Material dichter ist, ist die Schwerkraft geringfügig stärker als an jenen Stellen, wo die Gesteine eine etwas geringere Dichte aufweisen. Hinzu kommen noch die vielen geologischen Facetten der Erdkruste. Zur Feststellung der Schwereverteilung gibt es schon lange eine Messmethode, die als Gravimetrie bezeichnet wird und das Messinstrument dafür heißt Gravimeter.
Kartiert man nun die gesamte Erdoberfläche mit einem Gravimeter, ergibt sich ein Isolinienplan für die Schwerebeschleunigung mit vielen großräumigen und kleinräumigen Strukturen, von denen jede einzelne „nach Kräften“ einen winzigen Einfluss nimmt auf die wahre Ausrichtung des herabhängenden Lots.

Mein Name ist Anatoli Bauer und ich wohne im Norden an der Nordseeküste in Husum. Ich beschäftige mich leidenschaftlich gerne mit den Naturwissenschaften und interessiere mich vor allem für Physik und alles, was mit dem Weltraum und entfernten Planten zu tun hat.